Eine alte Rückfahrkarte erzählt

Hallo Leute. Ich bin eine alte Rückfahrkarte und will euch heute etwas aus meinem bewegten Leben erzählen.

Rückfahrkarte von Hochdahl nach Erkrath

Ich wurde als farbige Pappe in der Größe 57 x 30 x 1 mm von der Deutsche Bundesbahn hergestellt und mit braunem Mittelstreifen und zwei roten N an die Fahrkartenausgabe (Fka) Hochdahl geliefert. Dadurch war ich vor meiner eigentlichen Geburt schon als Tagesrückfahrkarte des Nahverkehrs vorgeprägt. Das war irgendwann zwischen 1970 und 1971. In der Fka Hochdahl schlummerte ich mit vielen Geschwistern im Pappensilo des Fahrkartendruckers. Jedes Mal, wenn der DB-Mitarbeiter eine Tagesrückfahrkarte des Nahverkehrs mit dem Drucker ausfertigte, rückte ich im Silo eine Position weiter vor. Am 28. September 1971, zwei Tage nach Fahrplanwechsel und zu Beginn des Winterfahrplans bei der DB, schlug endlich auch meine Geburtsstunde. Ich erinnere mich genau, es war an einem Dienstagnachmittag kurz vor vier. Der Druckerantrieb zog mich aus dem Pappensilo, schob mich unter einer Druckwalze durch und spie mich in die Ausgabeschale. Das dauerte nur knapp eine Sekunde. So kurz können gelungene Geburten sein. Ich war nun eine Tagesrückfahrkarte 2. Klasse von Hochdahl nach Erkrath. Der DB-Mitarbeiter, damals auch Schalterbeamter genannt, hob mich aus der Schale, begutachtete mich kurz und legte mich etwas unsanft in den Drehteller des Fahrkartenschalters. Ich höre ihn noch sagen: „Eine Mark bitte“. Auf der dem Kunden zugewandten Seite des Fahrkartenschalters legte ein Mensch eine Deutsche Mark in den Drehteller. Nun bediente der Schalterbeamte den Drehteller und ich wechselte so meinen Besitzer.

Wer so etwas einmal selbst ausprobieren möchte, ich meine die Sache mit dem Drehteller, kann dies im Eisenbahn- und Heimatmuseum Erkrath-Hochdahl machen. Dort gibt es eine alte Fahrkartenausgabe aus dem ehemaligen Bahnhof Erkrath.

alte Fahrkartenausgabe

Mein neuer Besitzer schaute mich erstmal an, was hatte er für seine Mark bekommen? Er hatte die Berechtigung mit mir in der zweiten Wagenklasse in einem Zug des Nahverkehrs von Hochdahl nach Erkrath und zurückzufahren. Skurril mutet mein mittig angebrachter Aufdruck „keine Fahrtunterbrechung“ an. Wo hätte man denn auf den drei Kilometern Fahrtstrecke (auch diese Angabe enthält der Druck) die Fahrt unterbrechen können? Der Amtsschimmel beliebte zu scherzen. Nun, nicht jede Fahrkarte enthält Lustiges, insofern bin ich schon besonders. Mein Besitzer behielt mich in der Hand als er um 15:56 Uhr den Nahschnellverkehrszug N 3622 (Wuppertal-Oberbarmen – Düsseldorf Hbf) am Gleis 1 des Bahnhofs Hochdahl bestieg. Um 15:57 Uhr begann die Fahrt bergab nach Erkrath und kaum ins Gefälle eingefahren kontrollierte der Zugführer die Zugestiegenen. Für 5 Sekunden wechselte ich in die Hand des Eisenbahners, der mich kritisch ansah und dann in eine Zange steckte. Auf meine schicke bedruckte Vorderseite, unten links hochkant, wurde nun der Kontrollabdruck aufgebracht, sehr sorgfältig wie ich finde, denn er ist heute noch gut lesbar. Zurück bei meinem Besitzer verstaute dieser mich in seiner Hosentasche. Er stieg nach dreiminütiger Fahrt um 16:00 Uhr in Erkrath am Gleis 1 aus und verließ das Bahnhofsgelände.

Hier habe ich einen Filmriss bis kurz nach fünf an jenem Septembertag. Erst als wir, mein Besitzer und ich, um 17:06 Uhr im Nahschnellverkehrszug N 3627 (Aachen Hbf – Schwerte) von Gleis 2 des Bahnhofs Erkrath abfuhren, kommt die Erinnerung zurück. Wieder, man mag es kaum glauben, kontrolliert auf der kurzen Fahrt nach Hochdahl der Zugführer die Fahrkarten. Es scheint derselbe Eisenbahner zu sein, denn der Kontrollabdruck wird wieder gut lesbar angebracht. Bei beiden Abdrücken sind Datum (28.09) und Zugnummer (N 3622 bzw N 3627) deutlich zu erkennen, außerdem ein „M“ für nachmittags und die 08 für die Bundesbahndirektion Wuppertal, die Heimat des Zugführers. Um 17:10 Uhr endete mein aktives Leben an Gleis 2 des Bahnhofs Hochdahl, ich verlor, weil benutzt, die Gültigkeit. Die meisten meiner Schwestern landeten nach dem Gebrauch wertlos geworden im Müll, nicht so ich. Mein Besitzer, er sah in mir immer noch einen Wert, steckte mich zu anderen Fahrkarten in eine Kiste, war er doch ein Eisenbahnfreund und Sammler alter Fahrkarten. Mithin begann mein zweites Leben als Sammelstück.

So vergingen die Jahre, bis ich im Mai 2021 von meinem treuen Besitzer ins Eisenbahn- und Heimatmuseum Erkrath-Hochdahl gebracht wurde. Der Archivar des Museums freute sich sehr über die Sachspende, ist er doch ein Liebhaber alter Fahrkarten, möglicherweise weil er als junger Eisenbahner selbst damit zu tun hatte. Schweren Herzens nahm ich Abschied von meinem alten Besitzer. Ob der Neue genauso sorgsam mit mir umgeht? Ich habe also nun mein drittes Leben begonnen und bin ein Museumstück geworden. Vom Gebrauchsgegenstand für insgesamt sieben Minuten Zugfahrt zum Kulturgut, was für eine Karriere. Ich bin stolz auf mich.

Fahrkartenschrank
Eine alte Rückfahrkarte erzählt